Veröffentlicht in Gießener Anzeiger, Oberhessische Zeitung

Von Christoph v. Gallera

 

Glückliche Sauen unterlaufen Düngeverordnung?

Dirk Hesse: "Ich würde Freilandhaltung verbieten"

Antrittsvorlesung im Gießener Institut für Landtechnik

 

GIESSEN/ALSFELD. "Ich bin ein Oberhesse", stellt Dirk Hesse fest. Und schiebt gleich die Begründung nach: "Wenn man ständig von einem Ort zum anderen zieht, sucht man sich doch gern einen festen Punkt, wo man verwurzelt ist." Und die liegen in Alsfeld. Dort wurde Hesse am 10. September 1960 geboren. Heute führt ihn seine berufliche Laufbahn nach Gießen. Genauer gesagt ins Institut für Landtechnik der Justus-Liebig-Universität. Dort hält Hesse seine Antrittsvorlesung. Punkt neun Uhr.

Im Element

"Sie sollten unbedingt hingehen", legt Vater Dieter Theodor Hesse den Besuch der Antrittsvorlesung seines Sohnes dem Reporter ans Herz. Sohn Dirk werde mit einigen interessanten neuen Thesen an die Öffentlichkeit gehen. Zeit für Diskussion bleibe aber nicht, weist Dirk Hesse gleich auf die anschließende Feier hin. Denn ab Wintersemester 2001/2002 soll Hesse unter dem Dach der Professur von Herman Seufert Vorlesungen halten. Und das gemeinsam mit der Antrittsvorlesung bietet Grund zum Feiern. Welches Thema? Nun, das müsse noch genauer festgelegt werden. Genauso wie gestern noch an den letzten Details der Antrittsrede gefeilt wurde. Denn der Mann ist überzeugter Landwirt, Diplomlandwirt. Dr.sc.agr.

Dabei hat das, was er heute macht, herzlich wenig mit dem zu tun, was er ursprünglich machen wollte. Wissenschaftler? Wozu? Und dann auch noch den "Doktor"? Wer braucht sowas? "Eigentlich wollte ich Landwirt werden, richtiger Bauer", reist Hesse auf dem Balkon der Wohnung seiner Eltern mitten im Herzen Gießens mit seinen Worten in die lange zurück liegende Kindheit und Jugend in Alsfeld zurück. Schon als kleiner Junge sei er auf dem Hof seines Onkels gewesen, überall sein neugierige Nase reingesteckt. Später dann den Onkel vertreten, wenn der mal Ferien machen wollte. Ganz allein den Hof "geschmissen".

Doch dann kam alles anders. Hesses Stirn bewölkt sich kurz, als er sich erinnert. Die Chemie zwischen Neffe und Onkel stimmte nicht mehr. Der Traum vom eigenen Hof war ausgeträumt. Der von der Landwirtschaft allerdings nicht. 1981 bis 1982 absolviert er ein Hofpraktikum. Anschließend studiert er bis 1988 Landwirtschaft an der Georg-August-Universität in Göttingen, Schwerpunkt "Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus". 1988 wird er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig-Völkenrode. Das ist er heute noch. Aber das ist nicht alles. Der Forscherdrang in ihm lässt ihn vergleichsweise wie einen Vulkan explodieren, oder eher wie einen  hawaiianischen  Schildvulkan unablässig arbeiten und das Wissen ausfließen. 56 internationale Veröffentlichungen, Vorträge. 220 nationale Fachbeiträge und Vorträge, Betreuung von drei Dissertationen und sechs Diplomarbeiten, Abhalten von Seminaren an der FH Osnabrück und an der JLU. 30 Stellungnahmen für das Bundeslandwirtschaftsministerium.

Sein Forscherdrang sorgt dafür, so meint Hesse selbstironisch, dass bei seiner Hochzeitsreise in den USA ein Farmer meint, "this crazy german" - dieser verrückte Deutsche. Der Grund: ein Bekannter aus Deutschland, der in den USA arbeitet, hatte ihn zu einem Kongress eingeladen. Hesse sagte zu. Nahm seine gerade frisch angetraute Frau mit. Im Anschluss sollte die Hochzeitsreise stattfinden. Während des Kongresses erfährt Hesse, dass irgendwo in der Nähe ein Schweinestall wäre, den er sich unbedingt ansehen müsse. "In der Nähe", das waren rund 300 Meilen. "Und dann haben wir uns noch verfahren, in die völlig falsche Richtung", lacht seine Frau. Über ihr Verständnis ist Hesse froh. Fällt aber auch nicht weiter schwer. Denn sie promoviert gerade selbst zum "Dr.sc. agr.".

Er selbst sei in seiner Gruppe der erste gewesen, der promoviert habe. Und das habe ob seiner ursprünglichen Einstellungen denn doch einige "Befindlichkeiten" ausgelöst, meint Hesse leicht schmunzelnd.

Seine Promotion machte Hesse 1991 an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, Thema "Beurteilung unterschiedlicher Haltungsverfahren für ferkelführende Sauen." Und wenn es um Sauen geht, vertritt Hesse provozierende Standpunkte, die er aus fachlicher Sicht für gut begründet hält. "Ginge es nach mir, müsste man die Freilandhaltung von Sauen verbieten, mindestens während der vegetationslosen Zeit", sagt der Wissenschaftler Hesse. Und liefert die Begründung: "Die Düngeverordnung schreibt vor, dass pro Jahr maximal zwei Dungeinheiten je Hektar ausgebracht werden. Das entspricht rund sechs Zuchtsauen." In der Freilandhaltung, sofern sie sich tragen soll, würden aber mindestens 15 bis 20 Sauen gehalten. Während in der Stallhaltung der Mist, den die Sauen produzieren, gesammelt würde, würde bei der Freilandhaltung der Mist von den Sauen direkt aufs Land getragen. Und damit die Vorgabe der Düngeverordnung unterlaufen. "Es kann nicht angehen, dass dem Freilandbauern offensichtlich das erlaubt ist, was dem Stallhalter verboten bleibt", meint Hesse. Und gibt freimütig zu, deswegen schon öfters Ärger mit Freilandhaltern gehabt zu haben. "Aber da beiß ich mich durch", meint Hesse. Eben echt oberhessisch.

 

Weiterführende Links

Institut für Landtechnik an der Justus-Liebig-Universität Gießen

Georg-August-Universität Göttingen

Christian Albrechts-Universität Kiel

Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft

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