PREUSSEN, FRANKREICH, DEUTSCHLAND.
oder
Wann gibt sich das Deutsche Volk seine Verfassung?
Von Christoph von Gallera
Ob es gefällt oder nicht: Zehn Jahre nach der Vereinigung der
alten Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu einem neuen
deutschen Staat gewinnt die Idee des Staates Preußen wieder mehr an Popularität. Nicht
zuletzt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bekannte sich offen zu preußischen Tugenden
wie Disziplin, Ehrlichkeit oder auch Zuverlässigkeit und Ordnung.
Ob es nun richtig ist, zugleich auch die monarchische
Herrschaftsform wieder zu wünschen, das zu beurteilen, bleibt jedem selbst überlassen.
Fest steht jedoch zum Beispiel folgendes: 1794 wurde in Preußen als erstem deutschen
Staat das Abitur eingeführt, in Preußen lehrte mit dem Hallenser Rechtslehrer Christian
Thomasius erstmals ein Professor in deutscher Sprache Und nicht zuletzt war es auch
der preußische König Friedrich der Große, der sagte: "In diesem Staat soll jeder
nach seiner Fasson glücklich werden" und "Ich bin der erste Diener meines
Staates." Bei all diesen zweifellos guten Neuerungen gibt es aber auch ein
staatsrechtlich-preußisches Erzeugnis, das mindestens Anlass zu Fragen gibt: DER
RECHTSSTAAT. Von der Idee her gedacht, den Bürger des preußischen Königsreiches nicht
einfach königlichen Willkürakten zu unterwerfen sondern sich geordneter Instanzenzüge
zu bedienen, war die Schaffung damals sicherlich revolutionär.
Fraglich bleibt der Begriff des Rechtsstaates dennoch. Denn er
sagt nichts anderes aus, als daß eben der Instanzenweg zu beachten ist. Falls die
Gesetze, die im Instanzengang angewendet werden, aber durch sich selbst Unrecht statt
Recht setzen, wird dieses System unglaubwürdig, wenn nicht die Möglichkeit besteht, daß
der demokratisch legitimierte Souverän (das Volk) die Gesetze neu formen kann. Das ist
aber , zumindest in der Rechtstheorie, nur möglich wenn ein Gesellschaftsvertrag besteht.
Zwischen den Bürgern und dem Staat. das wiederum setzt eine vom Volk gegebene Verfassung
voraus. Das Gebilde, das so entsteht, heißt Verfassungsstaat.
Den gibt es dem Namen nach in Frankreich. Sinngemäß wird vom
Contrat social gesprochen. Und dieser Verfassungsstaat lässt zu, daß sinnlose Gesetze
oder Unrecht begründende Gesetze einfach abgeschafft werden können.
Ein Vorgang, der in Deutschland so nicht vorgesehen ist. Welche Prozesse notwendig sind,
um ein Gesetz zu ändern, zu kippen oder neu zu setzen? Darüber gibt der Bundestagsserver Auskunft. Welches System ist nun
besser: Der zu Zeiten Friedrich des Großen geschaffene Rechtstaat oder der wenig später
entstandene franzöische Verfassungsstaat? Auch hier mag sich jeder selbst sein Urteil
bilden. Bemerkenswert ist jedoch, daß das monarchistische Gebilde Rechtsstaat fast eins
zu eins auf das moderne Deutschland übertragen wurde und daß bis heute dem deutschen
Volk nicht die Chance gegeben wird, sich selbst eine richtige Verfassung zu geben.
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