(20.August 1999)
Petra Karakaya startet mit Usinger Anzeiger Spendenaktion Unabhängiger Aufruf des
Türkischen Kulturvereins
Von Christoph v. Gallera
USINGEN. Noch sitzt das Entsetzen in den Gesichtern von Petra Karakaya, ihres Mannes Erkan
oder von Sabri Killing, zweiter Vorsitzender des Türkischen Kulturvereins von Usingen.
Das Erdbeben in der Türkei in der Nacht vom 16. auf den 17. August hat schlagartig einen
tiefen Einschnitt in ihrem Leben hinterlassen. Bei Petra Karakaya so stark, dass sie
spontan eine Hilfsaktion Türkei Erdbeben Aufbauhilfe ins Leben gerufen hat.
Der Türkische Kulturverein ruft unabhängig davon ebenfalls zu Spenden auf.
Die zierliche kleine Frau aus Usingen ist mit Erkan Karakaya verheiratet. Als vom 16. auf
den 17. August nachts um drei die Erde im Westen der Türkei bebte, wussten sie und ihr
Mann noch nicht, dass tagsdrauf die Heimat vieler ihrer Verwandten, Bekannten und Freunde
sich in ein gigantisches Trümmerfeld verwandelt hatte. Wildfremde Menschen haben
bei uns angerufen, um zu wissen, ob wir betroffen sind, ob wir in die Türkei gefahren
sind, wie es uns geht, berichtete Erkan Karakaya. Und bei seiner Frau wuchs der
Wunsch, unbedingt in dem verwüsteten Land helfen zu wollen. Ich möchte
sicherstellen, dass Medikamente, Decken, Zelte und andere Sachen auch dort ankommen, wo
sie gebraucht werden sagte Petra Karakaya gestern.
Was mindestens genauso wichtig für den Wiederaufbau der verwüsteten Regionen ist, ist
die Schaffung eines finanziellen Polsters. Das Geld soll an die richtigen Stellen
fließen. Deswegen wandte sie sich an verschiedene Banken im Usinger Land, um ein
Spendenkonto zu errichten: Ich persönlich möchte keinen Pfennig haben. Aber ich
bin für jede Mark dankbar, die auf dieses Konto fliessen wird. Gerade die
angesichts der Berichte über Korruption bei der Verteilung von Hilfsgeldern in Bosnien
zurückgegangene Spendenbereitschaft hatte sie bewogen, schnellstmöglich einen sicheren
Weg für finanzielle Hilfe zu finden.
Mit Hilfe des Usinger Anzeigers schließlich wurde gestern ein Spendenkonto Türkei
Erdbeben Aufbauhilfe bei der Volksbank Usinger Land eingerichtet, Konto 10 200,
Bankleitzahl 500 92900. Das Konto wird vom Usinger Anzeiger verwaltet.Das einlaufende Geld
soll für den Aufbau des zerstörten Landes eingesetzt werden. Wie die Volksbank gestern
noch mitteilte, fallen keine Kontogebühren an. Außerdem soll das Geld optimal verzinst
werden.

Was jetzt dringend benötigt wird, sind alle Arten medizinischer
Artikel, angefangen von Salben und Verbandsmaterial über Antibiotika bis hin zu
Antidepressiva. Außerdem, so Petra Karakaya, werden Zelte, Schlafsäcke und andere
Campingartikel gebraucht. Die Dinge sollen vor allem unbeschädigt und in einem
guten Zustand sein, sagte Petra Karakaya gestern. Kaputte Sachen gibt es in
der Türkei jetzt zuhauf, meinte sie. Zeitgleich mit Beginn der Spendenaktion im
Usinger Land laufe auch eine im Großraum München an. Dort habe der Onkel ihres Mannes,
Mustafa Karakaya, mit einem Hilferundruf bei Firmen und Privatleuten begonnen. Er wolle
das Spendenkonto des Usinger Anzeigers in der dortigen Regionalpresse bekanntgeben.
So wie der Onkel ihres Mannes sich kurzfristig um den nötigen Stauraum bemüht hat, hat
auch Petra Karakaya hier Lagerplatz für Sachspenden eingerichtet. Genauso hat sie einen
mehrfachen heißen Draht für potentielle Sachspender eingerichtet. Sie selbst ist
täglich von 13 bis 22 Uhr unter 06081/67133 sowie per Handy 0170/4314322 zu erreichen.
Außerdem kann beim Mütterzentrum unter dieser Nummer angerufen werden: 06081/12962,
Montag 11 bis 12 Uhr, Dienstag 9 bis 11 Uhr, Mittwoch 9.30 bis 11.30 Uhr, Donnerstag 15.30
bis 17.30 Uhr sowie täglich von 13 bis 22 Uhr. Als weitere Möglichkeit kann unter
06081/963699 von 16 bis 22 Uhr angerufen werden. Petra Karakaya bittet ausdrücklich
darum, durchaus jede Telefonnummer zu probieren, falls besetzt sein sollte. Wie sie sagt,
seien bereits jetzt schon zahlreiche Anfragen gekommen, wo Hilfgüter abgegeben werden
können. Auch ein Lkw stehe für den Transport schon bereit. Lagerort ist das Gebäude des
Lichtblicks in der Untergasse 8 in Usingen.
Unabhängig von Petra Karakayas Hilfsaktion hat auch der Türkische Kulturverein zur
Spende aufgerufen. Bundesweit gibt eine zentrale Kontonummer der Türkischen Botschaft bei
der Kommerzbank in Köln: Konto 125 85 0805, Bankleitzahl 370 400 44. Sachspenden sind
nach Auskunft des Generalkoordinators der Türkischen Kulturvereine, Irfan Dinç, zur Zeit
über die Vereine noch nicht möglich. Es müssten noch Wege gefunden werden, hieß es
Hilfstransporte in die Türkei: Notlage lässt Menschen zu Wölfen werden
(12.Oktober 1999)
Petra Karakaya zurückgekehrt: Erfahrungen haben gezeigt, ein weiterer Hilfstransport muss
rollen
Von Christoph v. Gallera
USINGEN. Die Anstrengungen der letzten vier Wochen stehen Petra Karakaya noch ins Gesicht
geschrieben. Sie ist am letzten Sonntag aus dem Erdbebengebiet um Izmit und Gölcuk in der
Westtürkei zurückgekehrt. Die Erfahrungen aus dieser Zeit bestärken sie darin, einen
weiteren direkt kontrollierten Hilfstransport auf den Weg zu bringen, um den Menschen in
ihrer Not zu helfen.
Vor vier Wochen war Petra Karakaya in die Türkei geflogen, um den Hilfstransport in
Empfang zu nehmen, der von Usingen ins Erdbebengebiet aufgebrochen war. Noch in
Deutschland habe sie versucht, sich über die Berichte in den verschiedenen Medien auf
ihren Aufenthalt in der Türkei vorzubereiten. Das war vergeblich. Letztlich spotten
die Zustände jeder Beschreibung. Die Lage ist so schlimm, dass Menschen zu Wölfen werden
können, beschreibt sie das Verhalten der Erdbebenopfer.
Um sicher zu stellen, dass die Hilfsgüter direkt verteilt werden können, wurde der
Lastzug auf dem Gelände der Mannesmann-Niederlassung in
Izmit entladen, die Pakete sortiert. Wir sind mit Autos in die verschiedenen
Camps gefahren. Kaum angekommen, waren die Wagen von den Menschen umringt. Jeder
habe versucht, irgendein Stück ergattern zu wollen.
Besonders drastisch habe sich ihr ein Erlebnis mit einem 90-jährigen Mann eingeprägt.
Wir hatten Damenbinden zu verteilen. Da dies ja nun etwas ist, womit Männer
überhaupt nichts zu tun haben, waren also auch nur Frauen bei der Verteilung dabei,
erinnert sich Petra Karakaya. Plötzlich sei der alte Mann erschienen. Ich kann das
brauchen, geben Sie es mir , habe er ihr hartnäckig bedeutet. Bis sie ihm gezeigt
habe, was er da eigentlich haben wollte. Da hat er breit gelacht und ist wieder
gegangen. Um solche Situationen nach Möglichkeit ausschließen zu können, haben
die Helfer versucht, Sprecher unter den Bedürftigen auszumachen. So sollte zum Beispiel
genau festgestellt werden, wer Kleinkinder oder älteren Nachwuchs hat.
Schwache haben das Nachsehen
Wir
haben die Menschen auf die Notwendigkeit ihrer Mitwirkung hingewiesen. Meistens waren sie
dann dazu bereit gewesen, wenn wir sie vor die Aussicht gestellt hatten, sich auf den
wilden Kleiderhaufen in den Straßen bedienen zu können, schildert sie
Vorgehensweisen türkischer Hilfsdienste. Danach werden die gespendeten Kleider wie auf
einem riesigen Wühltisch vor den Ruinen abgekippt. Kinder, schwache, ältere oder
behinderte Menschen haben bei der Methode einfach das Nachsehen, regt sich die
Usingerin auf.
Ihre Wut wurde durch andere Erlebnisse und Berichte verstärkt. So habe sie erfahren, dass
der türkische Halbmond versucht habe, in seinen Lagern diejenigen ausfindig zu machen,
die noch halbwegs intakte Häuser besitzen. Um das zu erfahren, habe der türkische
Halbmond die Menschen drei Tage ohne Versorgung in den Lagern festgehalten. Der türkische
Halbmond ist das Pendant zum Roten Kreuz.
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